Archive for the ‘Berlinale 2009’ Category

Macht’s gut und danke für den Frosch!

Sonntag, Februar 15th, 2009

Die Berlinale ist vorbei, die Bären verteilt und ich scheue mich den Gassenhauer “der rote Teppich wird eingerollt” von mir zu geben, weshalb ich es auch (nicht) tue.

Für mich war das das entspannendste Filmfestival seit Beginn meiner Festivalkarriere, denn ich habe ungewöhnlich wenige Filme gesehen und die meisten davon per Zufall, weil ich den Gang zum Ticket-Counter oder große Menschenansammlungen gescheut habe. So sind es vor allem Pressevorführungen im Forum und Panorama geworden, ein paar Filme aus dem “kulinarischen Kino”, ein paar mehr aus der 70-mm-Retrospektive und dann Podiumsdiskussionen und eine Gala. Meine diesjährigen Favoriten sind also überaus unrepräsentativ: “Ghosted” von Monika Treut und “2001″ aus der Retrospektive.

Wie ich im ersten Beitrag schon geschrieben hatte: Weil ich nebenher lernen musste, konnte ich nicht so (viel) wie ich wollte. Und lernen kann man übrigens in der Hotspot-Lounge unten im Berlinale-Palast ziemlich gut. So, wie man sich im späteren Leben beim Hören eines Songs oft an den ersten oder wichtigsten Moment erinnert, in dem man das Lied gehört hat, so werde ich bei späteren Begegnungen mit Texten von Vivian Sobchack oder Jörg Schweinitz wohl immer an die Berlinale 2009 denken.

Die Idee von epd Film personalisierte Weblogs bereitzustellen hatte für mich Vor- und Nachteile. Mein Blog war ja als erstes arbeitsbereit und so habe ich hier in fröhlichem Solipsismus meine Gedanken eingestellt. Dadurch, dass ich die Blicke der Kollegen nicht mehr im Nacken gespürt habe, sind einige Einträge wesentlich subjektiver und vielleicht auch polemischer geworden, als sie es im Sammelblog geworden wären. Im Rückblick finde ich das gut – und durch die zahlreichen Reaktionen in den Kommentaren (mehr aber noch in Foren, Backlinks und E-Mails an mich) fühle ich mich da auch eher bestätigt. Einige Reaktionen (vor allem auf den “2001″-Eintrag) haben mir aber auch gezeigt, dass freiwillige Selbstkontrolle manchmal auch seine Vorteile hat.

Bevor jetzt also wieder für ein Jahr Ruhe herrscht, möchte ich mich bei allen Lesern und Mitautoren und bei epd Film bedanken und versprechen, dass – falls ich zur kommenden Berlinale wieder hier schreibe – es einen wahren Text-, Bild- und Filmhagel von mir geben wird.

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warum ich Filme wie “Milk” nicht mag

Samstag, Februar 14th, 2009

Schon am vergangenen Dienstag lief im Panorama Gus van Sants neuer Film “Milk“, der in Kürze auch hier in den Kinos startet. “Milk” erzählt die Geschichte des Homosexuellen Harvey Milk, der Mitte der 1970er-Jahre in San Francisco ein Geschäft für Fotozubehör eröffnet und dort als bekennender Schwuler auf den ganzen Hass und die Vorurteile seiner Mitmenschen trifft. Harvey will, dass es endlich ein Ende mit der Diskriminierung sexuell anders orientierter Menschen nimmt und geht in die Politik. Mehrfach versucht er sich ins Rathaus wählen zu lassen und nach Jahren gelingt ihm dies. Sein langer Weg dorthin, auf dem ihn viele Freunde begleiten und wieder verlassen, der seine Ideale auf den Prüfstand stellt und ihm mächtigere Feinde als bisher verschafft, erzählt der Film in einer langen Rückblende: Harvey Milk sitzt nämlich eigentlich an seinem Küchentisch, macht sich Sorgen über eine Morddrohung und spricht seine Lebensgeschichte in einen Kassettenrecorder. Für alle Fälle.

“Milk” ist das, was Fraçois Truffaut 1959 in einem richtungsweisenden Cahier-Beitrag einmal “cinéma de qualité” genannt hat: Ein hochpoliertes Drehbuch, das eine Geschichte erzählt, die dem Film und seinen genuinen Ausdrucksmitteln eigentlich keinen Raum mehr lässt, sich dafür aber aufgrund seiner an der historisch-politischen Korrektheit ausgerichteten Story seines Erfolgs sicher sein kann. Dieser Erfolg hat genau zwei Gradmesser: Erstens die Menge an Zuschauern, die nach der Sichtung aus dem Film kommt und leicht kopfnickend zu sich sagt: “Gut, dass das Thema endlich einmal aufs Tapet gebracht wurde.” Und die Menge an Oscar-Nominierungen und späteren -Auszeichnungen, die der Film mit Sicherheit einheimsen wird.

Dass das amerikanische Kino der Hauptverhandlungort für die amerikanische Geschichte ist, ist keine Neuigkeit. Dass diese Verhandlung nicht erst seit Figuren wie Oliver Stone auf die Bühne getreten ist und im Modus der Kritik erscheint, ist auch nicht neu (im Prinzip haben das bereits der Spätwestern und die letzte Phase des Film noir gemacht). Der Hang zum Hyperrealismus, mit die geschichtskritische Aufbereitung stattfindet, und das sich rekursive Versichern der Erfolgsaussichten eines solchen Projektes, sind allerdings noch nicht so alt. Es gibt bestimmte Indikatoren – oder aus der anderen Richtung gesehen: bestimmte Erfolgszutaten -, die solche Produktionen auszeichnen. (Wer mich kennt, weiß, auf welche dieser Indikatoren ich regelmäßig schimpfe – weswegen ich sie hier jetzt nicht ausführe/aufzähle).

Was mich an all dem stört, ist erstens, dass die Rechnung dieser Produktionen dann auch noch aufgeht: Im Prinzip sind es enorme Konsensmaschinen, die mit der Produktion in Gang geworfen werden und man meint schon fast, man habe sich als Kritiker der Diskursmacht zu fügen. Der perfide Sicherheitsmechanismus, der in diese Maschinen eingebaut ist, funktioniert ja auch meistens so, dass an einer negativen Kritik vorgeworfen wird, es sei das Sujet, das kritisiert werde und nicht der Modus der Vermittlung. Letzerer diene dem Kritiker lediglich als Tarnung, um dem kritischen Impetus des jeweiligen Films (gegen Schwulenfeindlichkeit, gegen Nationalismus, gegen Unterdrückung, …) reaktionär entgegenzutreten. Gegen solche Gegenkritik kann man sich immunisieren, weil sie eigentlich kein extrinsisches Argument vorzuweisen hat. Im Rechtfertigungszwang fühlt man sich dennoch häufig.

Schlimmer ist jedoch, dass diese Filme Themen “verbrennen”, deren Aufarbeitung wirklich sinnvoll wäre. Um wieder zum Beispiel “Milk” zu kommen: Der Film ist geschwätzig, hat aber unter all seinem Wortballast nichts zu zeigen. Man kann das alles bereits in historisch-kritischen Auseinandersetzungen zur jüngeren amerikanischen Geschichte nachlesen, man muss es sich vom Film nicht vorlesen lassen. Die filmische Vorlesung mit mimetischer Illustration des Textes (nichts anderes sind die Bilder von “Milk”) dient nur dem einen Zweck: Der Hyperrealisierung von Historie.

Jean Baudrillard hat es Ende der 1970er-Jahre einmal “Retro-Szenario” genannt, was Hollywood mit der Geschichte veranstaltet. Die dort produzierten Zeichen überdecken mit ihrer Diskursmacht nach und nach jede andere Zeichenproduktion und werden zur “einzigen Wahrheit”. Man muss das nicht zur simulationstheoretischen Verschwörung ausbauen, es gibt ja noch genügend andere Quellen; es lässt sich aber schwer leugnen, dass auf diese Weise inszenierte, diskursmächtige Filmproduktionen mit ihrem Erscheinen eine Verformung der Geschichtsrezeption auslösen. Man frage heute nur einmal einen jungen Menschen, was er über ein bestimmtes historisches Thema weiß: Die Antwort wird wohl zur Hälfte Zutaten aus der Zeichenproduktion Hollywoods enthalten.

Das ist sicherlich zu einem großen Teil auch Polemik. Aber ich finde es einerseits wirklich bedenklich, welche Erfolge solche Produktionen wie “Milk” immer wieder ernten; andererseits bedauere ich, wie Autoren und Regisseure damit (vielleicht verlockt vom Erfolg) ihre ästhetische Einzigartigkeit dem common sense des “cinéma de qualité” opfern. Man werfe bloß einmal einen Blick in die Filmografie Gus van Sants (“Elephant” -> “Milk”) … oder David Fincher (“Se7en” -> “Zodiac”) … oder Steven Soderbergh (“Sex, Lies, and Videotape” -> “The Good German”) …

Mit Sarah in 2001

Freitag, Februar 13th, 2009

Prolog

Es ist 8:55 Uhr, ich stehe im Eingangsbereich des International-Kinos. An mir strömen hunderte Menschen vorbei, die meisten jugendlichen Alters. Neben dem Aufgang zum Kino bildet sich eine Traube von Leuten mit Akkreditierungs-Halsbändern, woran rote und blaue Karten hängen. Wir dürfen nicht rein, obwohl man uns gestern am Pressecounter versichert hat, dass es für Akkreditierte freien Eintritt in die 9:30-Uhr-Vorstellung von “2001″ gäbe. Anstelle dessen bekommen wir abgezählte Marken: Falls es noch Plätze gibt, werden wir nach den Nummern darauf aufgerufen. Es macht sich offener Protest unter den Wartenden breit, als der Kino-Leiter der Kassierin zuruft, es seien noch 50 Plätze frei, und sie zurück fragt, ob man die für die Akkreditierten reservieren oder verkaufen wolle. Schließlich werden die Inhaber der ersten 35 Marken doch noch rein gelassen. Ich habe die Nummer 26, haste die Treppe hoch und finde noch einen Platz in der 7. oder 8. Reihe ganz rechts am Rand, was aber dank der großzügigen Einrichtung des Kinosaals nicht so schlimm ist.

The Dawn of Man

Der ganze Saal ist voller Schüler, denn es ist eine Veranstaltung, die sich extra an Menschen unter 20 richtet. Ich sitze in Mitten einer 11. Klasse; vor mir sitzen drei sich betont lässig gebende Jungs, neben mir vier Mädchen. Die direkt neben mir heißt Sarah. Ich frage sie, wie alt sie ist, welche Schule sie besucht und ob sie den Film kennt. Sie ist 16, Gymnasiastin und hat “2001″ noch nie gesehen.

Als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, das war 1987, da war ich auch gerade 16 Jahre alt. Ich hatte den Film auf einer deutsch synchronisierten, auf das 4:3-Format zusammengestutzten und -gestauchten VHS-Kassette ausgeliehen und mir kopiert. Als Science-Fiction-Fan hatte ich schon viel von “2001″ gelesen und gehört: dass er das Publikum spaltet, dass er “unverständlich” sei, mehr eine filmische Drogenerfahrung denn ein Weltraumabenteuer. Mir war das egal. Ich habe den Film gesehen, nichts verstanden aber viel geahnt und gefühlt und ihn eine lange Zeit lang fast jeden Tag noch einmal geguckt. Mitte der 1990er-Jahre habe ich die VHS-Kassette dann gegen eine 6-seitige CAV-Laserdisc ersetzt. Eine unglaubliche Seherfahrung: Zum ersten Mal im richtigen Format, mit dem Originalton und vor allem in einer Bildqualität, die mir bis dahin völlig unbekannt war. Überdies hatte die Laserdisc auch jenen Prolog, die “Intermission” und die Musik spielte auch nach dem Abspann weiter.

1999 habe ich an der Uni Jena in den Filmwissenschaften ein Proseminar mit dem Titel “2001″ belegt, in es dem ausschließlich um den Film ging, der als Beispiel für die verschiedenen Formen der Filmtheorie genutzt wurde aber auch selbst immer wieder gesehen, diskutiert und analysiert wurde. Ich erinnere mich noch, dass ich der einzige war, der den Film mehr als einmal gesehen hatte, als das zu Beginn des Seminars gefragt wurde – viele kannten ihn sogar noch gar nicht! 2001, als ich nach dem Studium nach Köln gezogen war, habe ich ihn dann zum aller ersten Mal im Kino gesehen – es sollte vorsätzlich mein erster Film in diesem speziellen Jahr sein. Allerdings handelte es sich bei der Version um eine 35-mm-Kopie, die auch noch nicht restauriert war (obwohl im selben Jahr ja eine restaurierte Fassung erschienen war). 2004 folgte dann der Kauf der Stanley-Kubrick-Box, in der der Film natürlich auch auf DVD enthalten war. Einmal habe ich ihn in dieser Fassung gesehen und dann das nächste Mal Anfang letzten Jahres in der Blu-ray-Edition, was für mich einen ebensolchen qualitativen Sprung wie damals von VHS zu Laserdisc bedeutete.

Ein Sprung von vier Millionen Jahren

Ich bin überwältigt von der visuellen Kraft, die der Film in der 70-mm-Fassung entwickelt. Wie oft meinte ich, mir jedes Detail angesehen zu haben und entdecke in diesen riesigen Bilder nun doch immer wieder neues (etwa, dass die Konsole auf dem Raumanzug der Jupiter-Missionare den Schriftzug “IBM” trägt). Doch der Film selbst nimmt nur etwa die Hälfte meiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Viel zu sehr freue ich mich darüber inmitten von Menschen zu sitzen, die ihn gerade zum aller ersten mal in ihrem Leben sehen. Ich beobachte die Schüler vor und neben mir aus den Augenwinkeln und in bestimmten Szenen, von denen ich ja weiß wann sie kommen, genau. So schaue ich bei dem berühmt gewordenen Match-Cut vom Knochen zum Raumschiff in Sarahs Gesicht und entdecke ein kleines Erschrecken, dann ein überraschtes Lächeln, die Augen werden groß und der Mund klappt ihr leicht auf.

Vor mir die Jungs sind damit beschäftigt, “2001″ demonstrativ langweilig zu finden. Einer schreibt SMS, ein anderer setzt sich seine Kapuze auf; immer wieder lehnen sie sich zur Seite und nach vorn zu ihren Klassenkameraden um zu reden. Aber sie reden bewusst leise. Es ist überhaupt eine der stillsten Vorführungen, die ich je mit Zuschauern in dieser Altersklasse erlebt habe. So still, dass man das rhythmische Knistern im vorderen linken Tonkanal hören kann, dass bei der Magnetisierung des Bandes durch eine der vorherigen Vorführungen entstanden ist. (Ärgerlich!) Was die Jungs da vor mir reden, verstehe ich auch. Sie machen sich nicht etwa lustig oder quatschen Alltagszeug; nein, sie reden über den Film, versuchen sich darüber zu verständigen, worum es gerade geht, was dieses oder jenes zu bedeuten hat. Und sie haben eine Menge mitbekommen – viel mehr als ich damals bei meiner ersten Sichtung.

Intermission

Das Licht geht zur Unterbrechung an, die vier Mädels neben mir verschwinden und einem der Pädagogen, der die Sichtung mit den Schülern begleitet, schaltet sein Mikro an. Er läuft durch die Reihen und erkundigt sich, wie denn der Eindruck bisher sei. Wie zu erwarten, gibt es Stimmen, die sich überwältigt zeigen und solche, die das “alles trotzdem langweilig” finden. Auch heute hat “2001″ also noch sein Durchschnittspublikum mit den durchschnittlichen Meinungen zum Film – wenn es denn nur unbelastet von Vorwissen in den Film geht. Er fragt dann noch so dämliche Sachen, wie: “Und wie fandest du die Ästhetik? Also die Raumschiffe?” und bekommt ausweichende Antworten. Man merkt geradezu, dass er auf Stichworte lauert, um sein erlerntes Filmwissen abzuspulen. Den Gefallen tut ihm aber (noch) niemand.

Als die Pause zu Ende geht, sind Sarah und ihre Freundinnen noch nicht von der Toilette zurück. Zuerst denke ich, dass sie sich vielleicht aus dem Staub gemacht haben. Aber so sehr, dass sie alle ihre Taschen und Jacken zurückgelassen hätten, kann der Film sie kaum erschreckt haben. Sie kommen, als es schon dunkel ist, diskutierend zurück und setzen sich wieder. Es wird wieder still und das letzte, was ich von einer höre, ist: “Da stirbt bestimmt noch einer!” Was für eine seltsame Annahme bei einem Film, wo bisher nur Tapire und Affenmenschen umgekommen sind und der ja bisher noch gar nicht verraten hat, dass er auch einen Handlungsteil mit “Spannung” besitzt.

Jupiter and Beyond Infinity

Der “metaphysische” Teil des Films ist der, der mich als Jugendlicher immer am meisten gelangweilt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir die Aussagen mehr oder weniger klar: Die von Außerirdischen induzierte Evolution, die Suche nach den Urhebern der Evolution (die sich in den Monolithen auf Mond und Erde verewigt haben), der Konflikt des Elektronenhirns HAL, das Informationen besitzt, die es mit seinen menschlichen Kollegen nicht teilen darf und deshalb “wahnsinnig” wird. Aber was da von statten geht, als David Bowman, nachdem er HALs höhere Hirnfunktionen deaktiviert hat (wieder ein Detail: Er trägt einen grünen Helm zum roten Raumanzug – ein chaotisches Element in dieser strengen Ordnung, das die Emotionen viel deutlicher zeigt als sein schweres Atmen) abermals in die Raumkapsel steigt, was diese Farbtunnel und Fehlfarbbilder zu bedeuten haben, was es mit dieser gerafften Lebensdarstellung im Louis-XIV-Zimmer und der schließlichen Wiedergeburt dieses irgendwie entstellten Embryos auf sich hat – darauf habe ich mir damals keine Reim gemacht.

Und so geht es auch meinen heutigen Mitguckern. Lachen bei manchen Szenen und von vorn (genau die richtigen!) Kommentare: “Das ist ja wie ein Ecstasy-Trip!” und einige unverständliche Reaktionen, wie etwa, als Dave am Ende als ganz alter Mann im Sterbebett liegt: Von überall aus dem Saal hört man weibliche “Iiihh”-Rufe und vor mir haben die Kids Assoziationen zu Spielbergs “E.T.”, als dieser greise Bowman den Finger hebt: “Nach Hause telefonieren.” Sarah neben mir wird unruhiger, beugt sich noch häufiger zu ihren Freundinnen nebenan um sich über das Gesehene zu verständigen.

The End

Als der Film vorüber ist, bin ich wie bei der ersten Begegnung mit ihm wie betäubt. Vor allem Richard Strauss am Ende hat noch einmal richtig in mir gewütet. Das Licht geht überaus langsam an und die beiden Pädagogen stellen sich wieder vorn auf. Bevor sie etwas über das Format und den Regisseur erzählen, wollen sie noch weitere Stimmen einfangen. Dasselbe Stimmungsbild wie zur Pause, dieses Mal mischt sich jedoch allgemeine “Kunstkritik” darunter: Warum man denn eine Aussage nicht deutlich formulieren könne, wenn man denn einen Film drehe. Wo denn der rote Faden sei. Dass man schon verstehe, wenn den Film nicht so viele Leute geguckt hätten oder ihn nicht mögen. (Herrliche Verallgemeinerung, die einer der Pädagogen sofort widerlegt: “der meistgesehene Science Fiction überhaupt” – kann er das belegen?)

Es gibt aber auch ganz andere Stimmen. Ein Mädchen berichtet mit fast brüchiger Stimme, wie unglaublich spannend sie den Film fand. Unerträglich sei es gewesen, wie sich die Spannung in einzelnen Szenen aufgebaut und dann doch in keine Entladung geführt habe. Ein junger Mann analysiert, warum der Film nicht auf ihn wirken konnte, wie er es erhofft hat (in dem Alter fängt es also an, dass man mit sich selbst ins Kino geht und hinterher Sätze absondert wie: “Der Film wusste mich nicht zu begeistern”!): Die Szenen seien einfach zu lang gewesen. Heutige Filmzuschauer können sich auf so eine geringe Schnittfrequenz nicht konzentrieren. Sie finden das automatisch langweilig, werden müde und schlafen ein. Er weiß also um seine und der Mediengesellschaft Probleme – ein guter Anfang.

Und dann von einer Schülerin eine Analyse, die ich ganz großartig fand: Der Film habe ihr sehr deutlich mitgeteilt, dass sich die Menschen trotz der Evolution nicht geändert haben. Zwar habe, angeregt durch diesen Monolithen, der Gebrauch von Werkzeugen begonnen, doch haben diese Werkzeuge von Beginn der Menschheitsgeschichte immer auch eine dunkle Seite: So wie der Knochen auch Mordinstrument ist, so seien die Raumschiffe mit ihren wahnsinnig gewordenen Computern auch Werkzeuge, die sich gegen den Menschen wenden. Der Schnitt zwischen dem Knochen und dem Raumschiff (hier unterbricht sie der Pädagoge belehrend, dass man das “Match-Cut” nennt) hätte ihr vor allem diese Ähnlichkeit der Werkzeuge vor Augen geführt. Großartig!!!

Ich höre mir die weiteren Ausführungen der Pädagogen mit Stirnrunzeln an. Sie dozieren noch etwas über die Besonderheiten des 70-mm-Formates und stellen weitere seltsame Fragen (“Worin ist denn der Unterschied zum normalen Film?” – ein gelangweilter junger Mann, dem man das Mikro unter die Nase hält, antwortet lässig: “Is’ geil.” Ein anderer hat sich in die Materie vorher eingearbeitet und hält einen kleinen Vortrag.) Sarah und ihre Freundinnen verlassen das Kino, sie tun ganz recht daran, sich den Sichtungseindruck nicht durch externe “Sinn-Kompressen” verderben zu lassen.

Keiner der Anwesenden wird zukünftig Strauss-Musik hören und nicht an den Film denken. Niemand wird die unendlich vielen Zitate, die der Film in die Kultur der Gegenwart einbrennt (von John Carpenter bis zu den Simpsons) nicht erkennen. Sie gehören jetzt dazu und ich war dabei, als sie diesen eigenartigen Raum, dieses Louis-XIV-Zimmer der Filmgeschichte zum ersten mal betreten haben.

***

Daisy Bell

Manch einer weiß es vielleicht: Stanley Kubrick hat seinen HAL-9000-Computer das Lied “Daisy Bell” deshalb singen lassen, weil es sich dabei um das erste von einem Computer (einem IBM 7090) gesungene Lied übehaupt handelte. Das Stück ist auf etlichen Kompilationen zur frühen Computermusik enthalten und ein Enthusiast hat sogar einen überaus sehenswerten Videoclip dazu entworfen:

http://www.beaufonts.com/7090/#

Nur noch als kleiner Nachtrag zu “2001″ und weil mir das Lied jetzt schon den halben Tag im Kopf herumgeistert. Ans Herz legen möchte ich noch einen Besuch beim “HALProject“.

Bilder von Kröten und Maurice Jarre

Mittwoch, Februar 11th, 2009

Ein abwechslungsreicher Berlinale-Tag. Zunächst habe ich mir in der Pressevorführung “Scarecrow Country” angesehen. Ein Blick in den Festival-Katalog suggeriert ein stringent erzähltes, vielleicht etwas deprimierendes Sozialdrama. Doch am Film selbst zeigt sich wieder einmal der Unterschied zwischen Story und Plot: “Scarcrow Country” atomisiert seine Erzählung in episodische Fragmente, in denen Geschichten und Figuren aufeinander zubewegt werden, schließlich auch zusammentreffen und sich doch nie berühren. Das alles wird in lang dauernden und zumeist weiten Einstellungen erzählt; in einer Landschaft, die kalt und brach ist und ebensolche Menschen hervorbringt. Eindeutig eher ein Film der visuellen Stimmung als des Plots.

Danach ging es zur Lernpause in den Berlinale-Palast-Bauch, wo mich gegen 16 Uhr ein Freund weglockte und in eine überraschend stark nachgefragte Kurzfilm-Präsentation des Forums mitnahm. Gezeigt wurden sieben recht unterschiedliche Experimentalfilme – bei den meisten schien mir jedoch das mehr Vorhandensein von Material und Möglichkeiten als die Präsenz einer guten Idee der Vater des filmischen Gedankens gewesen zu sein. Löbliche zwei Ausnahmen: der auf Super-8 gedrehte Film “Kröten”, der Experimentalfilmerin Milena Gierke. Hier ist es vor allem das Licht, das sich auf der Wasseroberfläche (unter der sich die Kröten befinden) bricht, das einen schon fast hypnotischen Rhythmus in die Bilder bringt. Die Künstlerin stand in einer Pause noch für ein Q&A zur Verfügung und outete sich als Statthalterin des seit 2005 leider nicht mehr produzierten Super-8-Films.

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(Milena Gierke)

Der andere Film, der mir aus der Reihe gut gefallen hat, war der etwas längere, streckenweise sehr humorige “Out in the Light” von Martin Ebner, Klaus Weber und Katja Eidel – in dem auch eine Kröte zu sehen ist (die ich ganz frech von der Leinwand abfotografiert habe):

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(Out in the Light)

Die Künstler experimentieren in ihrem Film mit verschiedenen Techniken aber auch mit filmischer Zeit und Raum. Das Besondere schien mir dabei die Szenenmontage, für die man sich jedes mal etwas besonderes, ein Geräusch, eine unorthodoxe Anschluss-Art etc. hat einfallen lassen. Die Persiflage der filmischen Techniken erstreckte sich sogar auf die Schlusstitel, in denen Buchstaben und Satzfragmente wild, aber scheinbar nach dem Rhythmus der Filmmusik, durcheinander tanzten.

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(Maurice Jarre)

Um 18 Uhr ging es dann zu einem für mich besonderen Berlinale-Highlight: der Podiumsdiskussion mit Maurice Jarre. Der Komponist, der wohl durch eine Krankheit, im wesentlichen aber sein fortgeschrittenes Alter geschwächt war, kam später als erwartet und wurde im Rollstuhl auf die Bühne gebracht. Er berichtete aus seinen Zusammenarbeiten mit Regisseuren, über seine wichtigsten Soundtracks und besondere Techniken – und kam immer wieder auf die Zusammenarbeit mit Volker Schlöndorff zu sprechen, der ebenfalls im Raum war – ihm sogar in der ersten Reihe gegenüber saß.

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(Maurice Jarre, Gerhard Midding)

Als Jarre die Kräfte dann schließlich verließen, bat er Schlöndorff auf das Podium, der die Gesprächsstaffel übernahm und einerseits weitere Hintergründe aus seiner Zusammenarbeit mit dem Komponisten für den “Blechtrommel”-Soundtrack berichtete, andererseits aber auch die Gegenperspektive zu Jarres Ausführungen darlegte – wie die Zusammenarbeit mit dem Soundtrack-Komponisten aus der Sicht des Regisseurs ist. Dass man gegenseitig nur lobende Worte füreinander übrig hatte, versteht sich von selbst. Schließlich konnte noch eine Frage – die nach seinem eigenen Lieblingssoundtrack (Lawrence of Arabia) – aus dem Publikum gestellt werden, bevor Jarre – sichtbar entkräftet – wieder zurück in sein (Kranken?)Bett durfte.

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(v.l.n.r.: Volker Schlöndorff, Maurice Jarre, Gerhard Midding)

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(v.l.n.r.: Volker Schlöndorff, Maurice Jarre, Gerhard Midding)

(P.S. Schön war übrigens der Respekt, dem man dem Komponisten entgegen brachte: Kurz nachdem er das Podium betreten hatte, wurde ein Fotografieverbot ausgesprochen. Ein Fotograf, den das nicht interessierte und der während der Diskussion immer wieder nach vorn ging, um sein Blitzlicht-Gewitter auf den Komponisten niederregnen zu lassen, wurde kurzerhand aus dem Saal verwiesen. Da half ihm auch kein Protestieren, dass das “Fotografieverbot” nirgends ausgeschrieben war.)

25 Jahre epd Film

Mittwoch, Februar 11th, 2009

Gestern wurde das 25. Jubiläum der Zeitschrift epd Film gefeiert. Es gab eine goldene Sonderausgabe und ein paar Reden. Ich war dabei, habe gefilmt und das Ergebnis auf YouTube hochgeladen:


(Jörg Bollmann, GEP-Direktor)


(Hanns Zischler, Schauspieler)


(Volker Schloendorff, Regisseur)


(Arndt Brummer, Chefredakteur “chrismon”)


(Petra Bahr, Kulturbeauftragte EKD)


(Rudolf Worschech, Chefredakteur epd Film)

Kinowirklichkeit

Dienstag, Februar 10th, 2009

Es ist doch einfach nur noch schön, manchmal zu sehen, welchen prägenden Einfluss das Kino auf unsere Lebenswirklichkeit hat. Oder soll das gestern Abend bloß ein Zufall gewesen sein, was sich vor der Vorstellung von Tatis “Playtime” am Kinoschalter abgespielt hat? Wie immer gab es mehr Interessierte am Film als es Karten gab. Schon eine dreiviertel Stunde vor Beginn fanden sich also etwa 40 Menschen vor dem Ticketschalter im Cinestar ein, um im Fall des Falles – dass es noch restliche Kontingente gibt – eine Karte zu ergattern.


(Koreanische Kinofans, im Vordergrund mit, im Hintergrund noch ohne Karte)

Der Kassiererin muss die Situation irgendwann zu undurchsichtig gewesen sein, denn zur Überraschung aller ließ sie plötzlich verlauten, dass, wer noch Karten haben möchte, sich gefälligst “ordentlich anstellen” soll – eine derartig “wilde Schlange” könne Sie nicht dulden. Das Gemurmel der wartenden nahm Untertöne von Heiterkeit und Bestürzung an und als die mit der Kartenverkaufsmacht ausgestattete das nun wiederum vernahm, bellte sie schroff nach: “Und ich dulde keine Widerrede.”

Es hat dann wohl noch jeder eine Karte bekommen, denn einige Sitze im Kino sind leer geblieben. Aber das heitere Durcheinander, das Tatis Film bestimmt, schien seinen Schatten eindeutig vorausgeworfen zu haben. Die Unübersichtlichkeit, die Vielfalt der Menschen, Stimmen und Sprachen, dass sich überall irgendetwas im Bild abspielt: Das ist ja das besondere Unordnungsprinzip an “Playtime”. Und der verzweifelte Oberkellner, der seine Mannschaft vom Saufen und das Restaurant damit vom totalen Zusammenbruch abhalten will – der wäre sicherlich ein heilsamer Anblick für die Ticketverkäuferin gewesen: Allein, sie hat sich sicherlich selbst keine Karte verkauft, denn sie hat ja völlig falsch gestanden (eben nicht in Reih und Glied). Und hart muss man zuallererst immer gegen sich selbst sein

Absolut Lommel

Dienstag, Februar 10th, 2009

Berlin, Februar 1969 – Auf der Berlinale stellt der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder seinen Erstlingsspielfilm “Liebe ist kälter als der Tod” vor. Nach der Premierenvorstellung werden er und sein Hauptdarsteller Ulli Lommel ausgebuht. In der Pressekonferenz erklärt sich der Jungregisseur: Er habe einen etwas anderen Film als die gewöhnliche Kinounterhaltung machen wollen, mit längeren Einstellungen, anderen Dialogen usw. Der Titel sei schon eine These aber erklären müsse sich das jeder Zuschauer selbst.

Berlin, Februar 2009 – 40 Jahre später. Fassbinder hat mit seinem Film und den darauffolgenden eine deutsche Kinoära geprägt. Nach seinem Tod treibt es seine Mitarbeiter in die ästhetische Diaspora. Ulli Lommel geht nach Amerika und wird selbst Regisseur. 2009 hat er etwa genauso viele Filme gedreht wie sein Lehrmeister – jedoch ist kein einziger wirklich gut und etliche sogar ziemlich miserabel. Mit “Absolut Evil” reicht er einen Film bei der Berlinale ein, der sich selbst als Antithese zu “Liebe ist kälter als der Tod” versteht. Eine Geschichte um Rache und Liebe, kompliziert erzählt, schlecht gespielt und übel inszeniert.

Lommels Filme zu sehen war schon immer irgendwie wie einem Autounfall zuzusehen. Man möchte sich und alle Anwesenden aus der Gefahrenzone bringen, Hilfe rufen und das Gebiet weiträumig absperren. Anders als bei einem Autounfall ist das im Kino aber nur mit einigem Aufwand und Ärger möglich. Also muss man passiv bleiben, hinsehen und sich immer wieder fragen, wie ein Mensch, der unter dem künstlerischen Einfluss Fassbinders stand, so etwas auf die Beine stellen kann? Und in “Absolut Evil” besitzt er auch noch die Impertinenz sich explizit auf Fassbinder zu beziehen; schaltet vor seine direct-to-Video-Gurke historisches Dokumentar-Material, in dem die eingangs geschilderten Berlinale-Szenen zu sehen sind. Er selbst schämt sich nicht, dafür derjenige, der das mit ansehen muss.

Die Apotheose der Fremdscham erreicht man als Zuschauer aber, wenn vor dem Film auch noch angekündigt wird, dass einige der Mitwirkenden anwesend sind und hinterher zum Gespräch zur Verfügung stehen – und man den Saal dann trotzdem nicht nach Filmende verlässt. Da trudeln also zwei der amerikanischen Darsteller auf die Bühne und der Mann, der in Deutschland für die Postproduktion zuständig war. Wie sie alle zu dem Film gekommen sind, wissen sie nicht mehr – sie insinnuieren sogar, dass es wohl daran lag, dass sie sich (Autounfall!) nicht schnell genug in Sicherheit gebracht haben, als das Casting war. Dann eine Frage aus dem immer noch sprachlos entsetzten Publikum: Eine Dame fand den Film ganz wunderbar, hat aber nur die Hälfte verstanden (!) und findet es empörend, dass ein deutscher Film (?) nicht wenigstens deutsche Untertitel bekommt. Der Postproduzent pflichtet ihr bei: Auch er habe bislang nur ein Drittel des Films verstanden, obwohl er ihn schon drei mal gesehen hat und würde sich auch über Untertitel freuen.

An dieser Stelle versagt meine Bruchrechnung und Leidensfähigkeit. Ich gehe schnell raus aus dem Kino und denke mir, dass das genau die richtige Strafe für mich war, weil ich nicht gestern schon dafür gesorgt habe, mir Karten für andere Filme zu reservieren. Heute war dann nur noch “Absolut Evil” für mich übrig. Und vierzig Jahre Berlinale ziehen wie ein Pesthauch an meiner imaginären Kritikernase vorbei … Warum werden Filme heute eigentlich nicht mehr ausgebuht?

65 mm Zärtlichkeit

Montag, Februar 9th, 2009

Die ersten Tage der Retropsektive waren für mich sehr erhellend. Meinen ersten vollständigen Film habe ich nun auch gesehen (“Baraka”, dazu unten mehr) und die beiden Podiumsdiskussionen haben die notwendigen Hintergrundinfos geliefert, um zu würdigen, was da überhaupt vor mir hergeflimmert ist.

Am Freitag, ich deutete es ja bereits an, gab es ein Fünfergespräch mit Menschen, die alle irgendwie mit 70-mm-Film ihr Geld oder ihre Meriten ernten. Die bald aus dem Publikum aufgeworfenen Frage, ob das Format denn vielleicht schon tot sei, wenn seit so vielen Jahren kein Film darauf mehr erschienen sei, konnte also nur verneint werden. Argument: Sonst gäbe es doch keine Retrospektive. Das kann man auch anders herum sehen. Aber vielleicht ist die Frage ja schon ganz falsch (denken wir einmal an das Riepl’sche Gesetz) gestellt.

Sie sollte eher lauten: Worin besteht heute der Mehrwert der Doppelbreite? Den haben alle Diskutanten eindeutig darin hervorgehoben, dass hier Kino zu seiner Vollendung gelange. Nicht nur sind die Bilder größer, auch wird dem Drumherum viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Es sei schon mehr mit einem Opernbesuch vergleichbar, in eine 70-mm-Vorstellung zu gehen: Die Ouvertüre, die Pause und nicht zuletzt eine geringere Schnittfrequenz, die die Last der Erzählung wieder mehr von der Montage auf die mise-en-scene verschiebe. Zudem gebe es für das 70-mm-Kino, wie kaum noch für ein anderes Format, eine feste Fangemeinde, die eine “reine Lehre” vertritt. Blowups von 35 mm gucke man sich in solchen Kreisen nur widerwillig an.

Auf dem zweiten Panel zum Thema war dann Tom Tykwer anwesend, der insgesamt sieben Minuten 65-mm-Material in seinen neuen Film “The International” implementiert hatte. Geplant habe er die Verwendung diese Formats schon immer, sei aber erst jetzt dazu gekommen (wohl auch finanziell). Über den spezifischen Mehrwert für seinen Film konnte er allerdings nur verklausuliert reden. Da wäre ein besserer Kontrast von Fleisch zur unbelebten Umgebung, die Details seien deutlicher etc. Wie genau das möglich ist angesichts der Tatsache, dass die Auflösungsvorteile durch die schlussendliche digitale Herabskalierung des 70-mm-Materials zurück in die 35-mm-Rolle verschwinden, ist in der begeisterten Metaphorik Tykwers irgendwie untergegangen.

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(v.l.n.r.: Sepp Reidinger – Arri, Tom Tykwer – Parfümör, Rolf Giesen – Moderator)

Anstelle dessen verlor er sich mehrfach in einer Cineastischen Utopie, in der duftende Filme als Hologramme präsentiert werden und man zu Hause “2k”-Qualität per Knopfdruck für 99 Cent (oder 2,99 Euro) übers Internet bekomme. Filesharing sei dann Vergangenheit genauso wie endlich die ganzen technisch schlecht ausgestatteten Kinos ausgemendelt würden und nur noch Bestausstattung übrig bleibe. Schöne neue Multiplex-Welt, kann ich da nur sagen. Aber auch Tykwer sieht (zurück in der Gegenwart) in den großen Formaten 70-mm und Imax vor allem die Konkurrenzfähigkeit des Kinos gegenüber den immer besser werdenden Heimpräsentationen.

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(Tom Tykwer und die 35 mm)

Bei “Baraka” konnte ich mich dann heute erstmals selbst von den Vorzügen des Formats überzeugen. Dieses mal aus adäquater Distanz muss ich schon sagen: Der Film wirkt gewaltig, berauschend, beinahe verschlingend. Fricke, findet nicht nur die richtigen Bilder, sondern vor allem auch die besten Kamera-Bewegungen, um dieses Verschlungenwerden ins Filmbild zu befördern. Sei das, was “Baraka” inhaltlich mitzuteilen hat, auch noch so naiv (platteste Zivilisationskritik gepaart mit unreflektiertem Religionskitsch und Naturverklärung – “Koyaanisqatsi” schlecht nachgemacht, wie man nicht selten & zu recht liest), was der Film zeigt beziehungsweise wie er es zeigt, ist eine qualitative Offenbarung. Auf der Berlinale lief zum ersten Mal die restaurierte Todd-AO-Fassung (vor kurzem ist eine Blu-ray des Films erschienen, die die Maßstäbe für das Medium neu setzt).

Ich bin nun gespannt, wie es weitergeht. Ein paar Filme stehen noch auf meinem Programm und das Podium mit Maurice Jarre. Ich werde davon schreiben.

My Father, I’m coming!

Montag, Februar 9th, 2009

Wenn ich schon mal ins Kino gehen will … erwische ich doch glatt das Falsche. Denn eigentlich wollte ich ja im Cinestar Nr. 7 “Mein Herz sieht die Welt schwarz” gucken. Gelandet bin ich jedoch im Cinemax Nr. 7 und habe dort einen Film zu Gesicht bekommen, den ich, hätte ich ihn vorher im Programm entdeckt, sowieso vorgezogen hätte – nämlich den neuen von Monika Treut.

Die hat damit nicht nur die erste deutsch-thaiwanesiche Koproduktion überhaupt auf die Beine gestellt, sondern vielleicht auch den ersten deutschen “J-Horror”-Film. “Ghosted” heißt er und zwar nicht ohne Grund. Darin wird die tragische Geschichte der Liebe erzählt zwischen einer deutschen Videokünstlerin (Inga Busch) und einer thaiwanesischen jungen Frau (Yi-Ching Lu), die nach Deutschland reist, um ihren dort verschollen geglaubten Vater zu suchen. Es kommt zu Romantik und Tragik und dann zu einer Doppelgängerin, die auch eine Wiedergängerin sein könnte.

Treut erzählt mit gewohnter Leichtigkeit und viel Respekt vor echten Gefühlen – aber ungewohnt wenig Humor und Sex. Extrem gut fotografierte und emotionale Szenen mit Nahaufnahmen, wie man sie selten so erotisch im Kino zu sehen bekommt, ein atmosphärischer Soundtrack und gelungener Montage, die nicht nur zwischen den zwei Welten Hamburg und Taipeh mühelos via Match-Cuts wechselt, sondern auch die beiden Zeitebenen des Films gelungen ineinander verwebt.

Aber ich wollte ja keine Kritiken schreiben. Monika Treut war auch da, war ganz aufgeregt und hat vor dem Film nicht viel gesagt. Hinterher hat sie eine beachtliche Anzahl Mitarbeiter beider Crews (der deutschen und thaiwanesischen) auf die Bühne zitiert – es waren zeitweise bestimmt 30 Leute vorn – inklusive der thaiwaneischen Hauptdarsteller. Man hat der Regisseurin förmlich angemerkt, wie stolz sie auf ihr Werk ist – und das durfte sie auch sein. Ein besinnlicher Gruselfilm für all jene, die sonst für Asia-Horror zu schreckhaft sind, eine anrührende Liebesgeschichte und das alles in echtem Low-Cost-Flair ohne auch nur eine Sekunde billig zu wirken.

(@Jörg: unbedingt ansehen!)

Impressions

Montag, Februar 9th, 2009

Ein äußerst abwechslungsreicher Festival-Tag (ohne vollständige cineastische Ereignisse).

Zunächst einmal war das Wetter morgens so gut, dass der Potsdamer Platz in all seiner Stahl&Glas- Hässlichkeit beinahe etwas Schönes hatte:

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Und was da alles ans Licht gekommen ist … unter anderem eines der schlimmsten Filmplakate der deutschen Filmgeschichte:

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Im Bauch des Berlinale Palastes blieb man allerdings sowohl von der Sonne als auch vom Anblick der Filmstars verschont:

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Um 17 Uhr die Eröffnungsveranstaltung zur 70-mm-Retrospektive. Auf dem Podium (v.l.n.r.) saßen Patrick Stanbury (Photoplay Productions), Schawn Belston (70-mm-Mann bei 20th Century Fox), Martin Koerber (der Moderator), Pan Eberholst Olsen (Oslo 70-mm-Festival) und Herbert Born (Todd-AO-Filmfestival Karlsruhe):

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(Zu dem Thema werde ich morgen, nach der zweiten 70-mm-Podiumsdiskussion, mehr schreiben)

Den krönenden Abschluss hat dann mein erster Festivalfilm gebildet. In Abändernung meines Programms von gestern (schon Adenauer hat ja bekanntlich sein Unsinn von gestern nicht mehr interessiert) gab es “Ben Hur”. Die Karte hat mir ein Berliner Kollege zugesteckt.

Es war schon nicht besonders leicht noch eine weitere Karte für meine Frau zu ergattern. Reger Handel im Kinovorraum, Schweiß, Blut, Tränen und dann gab es doch noch 20 freie Plätze – leider alle in der ersten Reihe. Von dort konnte man die Einführung jedoch besonders gut verfolgen. Es war nämlich niemand geringeres als eine Tochter des Regisseurs (Catherine Wyler) anwesend und plauderte aus dem Nähkästchen:

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Über den Film, den ich – wie könnte ich sonst schon hier schreiben? – nicht zu Ende gesehen habe, kann ich nicht viel sagen, außer dass der Platz in der ersten Reihe nicht zum Format und der Laufzeit passt. Von der besonderen Schärfe der 70-mm-Projektion kann von so weit vorn keine Rede sein. Da war alles im Angebot: Bewegungs- und Randunschärfen, Flimmern und Bildzittern und extreme Körnigkeit. Alles selbstverständlich schuld meiner Position und Perspektive.

Morgen reflektiere ich dann noch ein wenig darüber, was ich heute über Filmtechnik erfahren habe.