Unwissensvorsprung

10 Feb 2010 von Gerhard Midding

Heute wurde in einer Berliner Tageszeitung die absehbare, deswegen freilich nicht intelligentere Klage laut, die Filmfestspiele würden wiederum nicht mit einem Paukenschlag eröffnet. Nichts gegen Charlie Watts, aber das war ja nicht einmal der Stones-Film von Martin Scorsese vor zwei Jahren. Vielmehr hatte man stets den Eindruck einer stillschweigenden, vom vorangegangenen Festivalchef an seinen Nachfolger weitergereichten Vereinbarung, nicht gleich mit dem Eröffnungsfilm allzu hohe künstlerische Ansprüche zu wecken. Das waren ja in der Regel Werke voller biederer Schicksalhaftigkeit, gönnerhaftem Humanismus ‘oder qualligem Zeitbezug, deren maßgebliches Auswahlkriterium darin besteht, dass man ihre Titel im Folgejahr längst vergessen hatte; glücklichere Naturen auch schon am nächsten Morgen. Dem diesjährigen Eröffnungsfilm mochte man eigentlich mit höheren Erwartungen entgegenblicken – Wang Quan’an frühere Arbeiten, im Forum und zuletzt im Wettbewerb zu sehen, sind schließlich nicht die schlechteste Empfehlung -, wäre man nicht aus berufenem Munde gewarnt worden. Als Kulturstaatsminister Bernd Neumann vor einigen Tagen die „Metropolis“-Ausstellung des Filmmuseums eröffnete, ließ er sich zu folgender Sottise hinreißen: Als er am Morgen gehört habe, was der Eröffnungsfilm sein werde, habe er endgültig keine Zweifel mehr daran gehabt, dass die restaurierte Fasung von Fritz Langs epochalem Film der wahre Höhepunkt der Berlinale sein werde. Nun ist es nicht weiter beunruhigend, wenn ein Minister gegenüber der Fachpresse auch mal einen Wissensvorsprung hat. Dennoch wüsste man gern, wie er sich ihn erworben hat. Schließlich träumen wir doch alle von einer besseren Welt, in der sich Staatsmänner einfach aus Neugierde Filme anschauen. Die beschwichtigende Ahnungslosigkeit, die ansonsten aus der Laudatio des Kulturministers sprach, schürt indessen Zweifel. In seiner Diktion schwingt doch immer eine leicht somnambule Geschäftsmäßigkeit mit. Also verlassen wir uns nicht auf ihn und vertrauen uns der eigenen Wissbegier an. Zumal all die Attribute, die ich weiter oben für Eröffnungsfilme postuliert habe, perfekt auf Langs angebliches Meisterwerk zutreffen.