Retourkutsche

11 Feb 2010 von Harald Mühlbeyer

Ja: wer austeilt, muss auch einstecken, ganz klar, hab kein Problem damit. “[S]ollte irgendwann auf dem Soundtrack oder aus dem Mund einer der Filmfiguren ein schwermütiger Song ertönen, der nach dem Willen des Filmemachers alles erklären soll”, so hatte ich gedroht, “dann gehe ich! Dann schmeiß ich hin!” Und Kosslick reagiert prompt, schon mit dem Eröffnungsfilm kam die wohlverdiente Retourkutsche.

Da sitzt er also am Essenstisch – er besucht seine Frau nach über 50 Jahren, war damals, 1949, als Soldat gegen die kommunistische Partei nach Taiwan geflohen und jetzt erst zurückgekehrt, jetzt sitzen sie bei Tisch bei einer Himmel-und-Erde-Suppe, die große kulinarische Philosophie gleich mitliefert -, und er ergreift das Wort: “Ich singe jetzt ein Lied, das all meine Gefühle damals zusammenfasst.” Und los gehts, über verlorene Liebe und verlorene Heimat. Und alsbald singt auch sie, seine alte Geliebte, was fröhliches, um die Stimmung aufzuhellen, und dann, noch in derselben Szene, schmettern sie alle drei ein Lied: er, sie und ihr Ehemann, mit dem sie die letzten Jahrzehnte zusammengelebt hat, obwohl ihr Herz am Taiwanesen hängt…
Gut gegeben, Herr Kosslick!

Im Übrigen ist Wang Quanans Film zwischendurch durchaus poetisch, auch witzig; und er neigt zu Langsamkeit, auch zur kräftigen Redundanz, da werden dann die komischen Momente ausgebreitet und die Pointen nochmals und nochmals wiedergegeben… Und vielleicht zeugt der Film weniger von alter Liebe, die nicht rostet, weniger von Familie, weniger von der Zeit, die alles wandelt, vor allem Shanghai, die Stadt, die immer neu und anders entsteht – vielleicht zeugt der Film vor allem vom großen, leidenschaftlich gelebten Hobby des Festivalleiters – nein: nicht das Kino, sondern das Kochen, das leckere, möglichst liebe- und kunstvoll zubereitete Essen. Und ist ja auch OK, er darf das: Beruf (Festival programmieren) und Privates (Essen) kombinieren.

Ich werde meine Drohung im übrigen nicht wahrmachen, ich bleibe. Denn Nachtreten ist unfair, damit sind die Vertragsgrundlagen entzogen – in “My Name is Khan”, der morgen abend Premiere hat (und über den ich deshalb hier auch gar nichts weiter schreibe, wegen Embargo- vulgo Sperrfrist-Regelung): in “My Name is Khan” geht’s mit dem Singen gradeso weiter, da ist der Tenor des Films ebenfalls ein Song: “We Shall Overcome” nämlich.
Weil’s mir damit aber gleich doppelt gegeben wurde, reagiere ich mit Trotz und bleibe Ihnen allen erhalten.

Harald Mühlbeyer