Das Privileg der Perspektive

12 Feb 2010 von Gerhard Midding

Schnelle Urteile sind bei einem Festival gefragt. Aber ist es wirklich unsere Aufgabe als Filmkritiker, diese Erwartung zu erfüllen? Festivals sind Konkurrenzveranstaltungen, nicht nur die Wettbewerbe, sondern schon allein die Rivalitäten, die aus der eigenen Planung entstehen. Hierarchien wollen errichtet werden. Sie sind vielleicht die verhängnisvollste Illusion, die ein Festival schafft. Ist es nicht eigentlich am schönsten, die Filme danach noch einmal zu sehen, wenn sie allein für sich stehen dürfen? David Thomson, der Kurator der diesjährigen Retrospektive, gestand heute Abend, dass er bei einigen der ausgewählten Filme noch ganz unentschieden ist. Die Begeisterung, die Terrence Malicks „The Thin Red Line“ unter seinen Kollegen auslöste, als er herauskam, hat er seinerzeit nicht teilen können. Dennoch hat er ihn ausgewählt; wohlwissend, dass er für die Wiederbesichtigung die große Leinwand braucht.  Er wird ihn sich nun noch einmal anschauen und ich vermute,  er wird ihm gefallen. Damals war der Erwartungsdruck womöglich zu groß – es war Malicks erster Film nach zwei Jahrzehnten des Schweigens, weniger als ein Meisterwerk hätte die Erwartungen enttäuscht. Tastend, bruchstückhaft ist der Film. Was damals vorläufig wirkte, könnte nun definitiv sein. Seither haben wir beim Sehen von „The New World“ erfahren, wie radikal dieser Filmemacher die Erzählperspektive nicht seiner Figuren, sondern der Natur sucht. Wir werden sehen, welche Filme dieses Jahrgangs unsere Langmut verdienen.