Gestern habe ich „Metropolis“ gesehen. Nein, nicht daheim vorm TV, nicht in der Kälte vor dem Brandenburger Tor. Sondern im Friedrichsstadtpalast, große Gala-Neu-Ur-Aufführung. Und ja: es war beeindruckend, den Film mit voller Orchesterbegleitung (Rundfunksymphonieorchester Berlin-Brandenburg unter der Leitung von Frank Strobel) zu sehen, vielleicht gar: zu erleben.
Die berühmt-legendären „neuen“ Teile sind dabei sichtlich das Älteste am Film, stark verregnet, in leicht beschnittenem Bildformat (die Fehler waren in die vor zwei Jahren gefundene vollständige Filmkopie schon einkopiert und daher kaum mehr reparierbar gewesen) – aber das macht nichts, ist sogar gut, weil der heftige Bildqualitätsunterschied eben die Gemachtheit, die Geschichtlichkeit des Filmmaterials vorhebt. Und weil es unterscheiden lässt: was war denn nun eigentlich die ganzen Jahrzehnte über verloren?
Eine Szene, eine einzige wichtige Szene fehlt nach wie vor, die Konfrontation im Kampfe zwischen den Rivalen Joh Frederson, Metropolis-Master, und dem mad scientist Rothwang. Ansonsten steht der Film mit seiner Handlung klar vor einem: eine stark verlängerte Katastrophenszene am Ende, mit fliehenden Kindern und einem verschlossenen Gittertor; Rothwangs Obsession für die an Joh verlorene und dann verstorbene Hel; und vor allem: der Schmale kommt zu seinem Recht, dieser unheimliche, unbewegte Beweger im Hintergrund, den Fritz Rasp in Paraderolle spielt.
Damit liegt auch die Dramaturgie des Films klar vor Augen, und die ist wirklich unkonventionell. Nach 60, 65 Minuten heißt es plötzlich „Ende des Auftakts“, und tatsächlich ging es vorher nur um die Beschreibung Metropolis, die Vorstellung der verschiedenen Akteure, ohne sie in Bezug zueinandern zu setzen. Das folgende „Zwischenspiel“ – 30, 35 Minuten lang – fügt die Teile zusammen, ist also weit mehr als ein Intermezzo – in diesen beiden Teilen liegt die Kraft von „Metropolis“, die visuelle Energie, die vom Film ausgeht, die einfallsreich gestalteten Handlungsstränge und Nebenplots, die sich umeinander winden – Freder Frederson, Johs Sohn, der plötzlich die Arbeiter von Metropolis entdeckt und die Liebe; die Rivalität zwischen Joh und Rothwang; dessen Traum vom künstlichen Menschen; kurze Episoden, eine über die Legende vom Turmbau zu Babel (in einem Gottesdienst, in dem Gott weggelassen wird) und ein Fiebertraum mit dem Tod und den sieben Todsünden, Sequenzen, die irgendwie für sich stehen; Freder, der sich mit Johs ehemaliger rechter Hand Josaphat verbündet und mit einem Arbeiter, Nr. 11811, tauscht; der wiederum steigt hinein ins Vergnügungsviertel von Metropolis, verfolgt vom Schmalen – hier ist das einzige neue Stück, wo ich nach wie vor das Gefühl habe, dass noch was fehlt. Vielleicht, weil der Schmale die beste Figur im Film ist; vielleicht auch, weil ohnehin alles irgendwie unausgewogen, unproportional wirkt. Aber pass auf: das macht nichts. Nein: dass hier alles irgendwie ineinander, aufeinander, durcheinander steht, ist in gewisser Weise faszinierend, und es macht klar, wo Langs Interessen (was Handlung angeht) liegen: bei der Kolportage. Deshalb das Episodenhafte: weil sozusagen jede Woche (respektive all paar Minuten) eine neue spannende Fortsetzung der sensationellen „Metropolis“-Story geliefert wird (in „M“ später wird Lang dieses thematische Interesse deutlich machen, wenn er einen Verkäufer von Groschenheften an der Tür auftauchen lässt).
Und dann sind da die Maschinen, deren Nutzen eher unklar bleibt – der Moloch, bei dem man irgendwelche Ventile auf- und zudrehen muss bis zur Erschöpfung, wo man rhythmisch an Skalen dreht, die beim kleinsten Fehler explodiert. Die super-Nonsens-Maschine, bei der Glühbirnen aufleuchten, auf die dann der Arbeit mit Zeigern deuten muss – totaler Quatsch eigentlich, der aber seinem Zweck, dem Zweck des Films dient. Und die Herzmaschine, an der nur ein Arbeiter steht, die aber alles in Metropolis kontrolliert, irgendwie. Bis hin zum Maschinenmenschen, den Kollege Höltgen schon gewürdigt hat.
Kolportage auf höchstem Produktionsniveau also – und das macht den Film auf interessante Weise noch mal aktueller, als er sein sollte. Denn wenn sich dann, nach Auftakt und Zwischenspiel, nach über 90 Minuten also, im „Furioso“ die wirkliche Handlung des Films entwickelt mit Doppelgänger, Aufwiegelung von Arbeitern, großen Konflikten, beinahe-Revolution etc.: da hat er dann mit einigen heutigen Blockbustern gemein, die gut aussehen, aber wenn die Handlung einsetzt, kacken sie ab. Da hängt ganz Metropolis an dieser einen Herzmaschine, wenn die kaputt geht, überflutet die Arbeiterstadt, logisch, und der Held und sein Helfer müssen eine lange Leiter hochklettern, während die gute Maria drei Hebel gleichzeitig runterdrücken muss, um einen Alarmgong in Aktion zu setzen.
Und das Fazit des Filmes „Metropolis“ ist dann, das schält sich heraus: Macht bloß keine Revolution, weil dann ersaufen eure Kinder. Und: Auch wenn der oberste Boss alle Arbeiter, Männer, Frauen, Kinder, killen wollte – wenn er dann öffentlich um seinen Sohn in Gefahr bangt, hey, dann ist es okay!
Aber einen wirklich konsequenten Film zu schaffen, der die ganze Zeit von der Opposition zwischen Herren und Knechten handelt, von der Erschaffung neuer Menschen und von der verbotenen Liebe zwischen oben und unten, das gelingt dann eben doch nicht, wenn die Versöhnung, das Happy End selbst in jeder Einstellung der Großkatastrophe laut Hallo ruft. Insofern hatte Herr Kulturboss Neumann in seiner (ziemlich unbeholfenen) Einführungsrede eben doch recht, wenn er „Metropolis“ mit einem modernen Blockbuster wie „Avatar“ vergleicht, weil klar: beide haben massig Geld gekostet und die Filmtechnik entscheidend vorangebracht. (Um die differierenden Einspielungsergebnisse z.B. muss man sich natürlich bei einer solchen Gala-Veranstaltung nicht zu kümmern… und über den künstlerisch-ästhetischen Einfluss von „Avatar“ kann man ja ruhig spekulieren.)
Harald Mühlbeyer