mit dem forum in die randzonen

14 Feb 2010 von Silvia Hallensleben

Sehr schön, wie Kollege Midding meine unreflektierte „Nénette“-Begeisterung durch seine analytischen Reflexionen unterfüttert. Danke! In meiner einsamen Forums-Parallelwelt kamen andere Gefängnisfilme bisher nicht vor, wenn man einmal von Sabus „Kanikösen“ absieht, dessen japanisches Krabbenfabrikschiff ja auch eine Art besonders grausames Gefangenenlager ist.

Doch Philiberts Film zeigt ja nicht nur den instinktlosen Umgang des Menschen mit dem Tier sondern fasziniert uns auch als eigenes Zerrspiegelbild im Grenzbereich zwischen Mensch und Tier. Der Affe als Fast-Mensch. Damit steht „Nénette“ im Forum im Kontext einer ganzen Reihe anderer Filme, die sich in den Grenzbereichen der vertrauten Zivilisation und des Menschlichen bewegen, von Gamma Baks „Schnupfen im Kopf“, der die Zerstörung der eigenen Persönlichkeit durch die Krankheit betrachtet bis zur bizarren künstlichen Vergnügungswelt von Sun City in „Sunny Land“ .

Entdeckung der Randzonen: So sind auch drei Filme im Programm mit raren bisher ungehörten Filmsprachen und ihrer Ethnien, dem südchinesischen Wa („Fan shan /Crossing the Mountain“), dem indischen Konkani („The Man Beyond the Bridge“) (Konkani) und der afrikanischen Sprachen Acholi und Luganda, die in Caroline Kamyas „Imani“ gesprochen werden, einem Debütfilm der gut beobachtet, klug inszeniert und für einen Debüt erstaunlich stilsicher aus dem ugandischen Alltag erzählt.

„Crossing the Mountain“ und „The Man beyond the Bridge“ spielen auch an der Grenze zum Dschungel und stellen bisher filmisch nicht präsente Ethnien vor.. „Crossing the Mountain“ ist dabei sicherlich, das kann man schon jetzt sagen, einer der großartigsten Filme des diesjährigen Forums: Die nordchinesische Regisseurin Yang Rui hat drei Jahre mit den Wa in den Bergen gelebt und verdichtet Gegenwart, Geschichte und kannibalistische Mythen des Volkes zu einem ebenso glasklaren wie enigmatischen Gemälde einer fremden Lebensrealität. Apichatpong Weerasethakul läßt grüßen…

Auch das Dorf La Barra in Oscar Ruíz Navias „El vuelco del cangrejo“ scheint vom Treiben der großen Welt weit entfernt am Rande der Zivilisation, wo man nur nach langem Marsch durch den Regenwald oder mit dem Boot hinkommt. Auch hier spielen die afrokolumbianischen Dorfbewohner sich selbst und dürfen damit ihr nach eigener Aussageheiß ersehntes Leinwanddebüt geben. Natürlich ist La Barra nicht wirklich aus der Welt: Im Fernseher laufen Kriegsbilder in den Nachrichten und Telenovelas. Und die Fischer spüren die ökologischen Veränderungen auf dem Globus an nachlassendem Fischreichtum.Und schon bald dürfte der Tourismus in der großartigen Landschaft Einzug halten.

Völlig aus Gesellschaft und Zeit gefallen scheint die Muschelsammlerin an der nordamerikanischen Nordostküste, die Sharon Lockhart in „Double Tide“ in zwei fast 50minütigen Einstellungen beobachtet. Ein tutendes Nebelhorn im Vogelgeflöte ist hier das einzige Zeichen menschlicher Anwesenheit. Ein schärferes Gegenbild zu Sabus montröser Krabbenfabrik oder Nénettes denaturierter Wartezone lässt sich kaum denken. Unendliche Weite, ein Urbild sinnvoll nahrungsbringender Tätigkeit im Herzen der Natur.   Schwer ist die Arbeit auch hier. Und einsam.  Sabus Fischarbeiter konnten wenigstens – vergeblich – gemeinsam den Aufstand wagen.

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