Nur auf Hirschen fliegen ist genauso schön

15 Feb 2010 von Stefan Höltgen

Wer noch nicht das Vergnügen hatte, mit dem Filmen des US-amerikanischen Regisseurs Jared Hess Kontakt zu bekommen, sollte das jetzt auf der Berlinale nachholen. Ich hatte mir zwar nicht vorgenommen, hier ausschließlich über einzelne Filme ohne “besonderen Kontext” zu bloggen, “Gentlemen Broncos” scheint mir die Ausnahme jedoch zu rechtfertigen – zumal mein erster Gedanke, als ich gestern aus der K14-Vorführung am Cubix kam, war: “Allein für diesen Film hat sich die Akkreditierungsgebühr schon gelohnt.”

Was ist so Besonderes an Jared Hess’ Filmen und insbesondere an “Gentlemen Broncos”? Nun, es sind jedenfalls nicht die Stories – die ist bei “Gentlemen Broncos” ebenso unspektakulär wie bei den vorherigen Filmen: Ein hoffnungsvoller Teenager-Autor schreibt eine abgefahrene Science-Fiction-Geschichte und stellt sie auf einem creative-writing-Seminar einem etwas obskuren und abgehalftertem Profi-Autor vor. Weil diesem der Verlag mangels origineller Ideen gekündigt zu werden droht, klaut er einfach die Geschichte des Jungen, ändert den Namen der Hauptfigur und vermarktet sie als seine eigene – mit Erfolg. (Normalerweise läuft das im Kulturbetrieb ja anders herum: Teenager klauen bei arrivierten Autoren … anderer Diskurs.) Die Sache geht übrigens gut aus und jeder bekommt das, was er verdient.

Das ganz besondere an “Gentlemen Broncos” (und auch schon an Hess’ Erstling “Napoleon Dynamite”) sind die Darsteller und das, was ihre Figuren erleben, wie sie die Welt sehen, mit ihr interagieren, wie sich ihre Geschichten entwickeln und wie sie sich dem Zuschauer unvergesslich machen. Es sind allesamt Außenseiter, hässliche, skurrile, bestenfalls auf den ersten Blick unscheinbare Figuren. Randerscheinungen, die gerade deshalb, weil sie sich nie inszenieren müssen, so unglaublich authentisch erscheinen. Schaut man sich die Darsteller-Riege von Hess’ Filmen an, wird schnell klar, was gemeint ist.

Ich habe beim Sehen des Films mehr als einmal gedacht, dass es eine überaus originelle Kombination ist, wie Hess diese Figuren zusammenstellt und entwickelt; am ehesten vielleicht noch vergleichbar mit den frühen Filmen Jim Jarmuschs oder den späten Federico Fellinis – aber doch irgendwie ganz anders. In den Figuren zeigt sich ein Amerika, wie man es sonst nie zu sehen bekommt: in seiner ganzen Normopathie, Lethargie und Traurigkeit. Und dennoch leuchten sie alle: die übergewichtige Mutter in ihren selbst entworfenen, schrillen Fantasy-Motiv-Kleidern, der indisch-stämmige Video-Stümper mit den schiefen Zähnen und dem unglaublichen Lächeln, der dumpf-brutale “Engel” aus dem Krichenchor mit seinen langen blonden Haaren und dem blonden Oberlippenbart – und sogar der schmierige SF-Autor, der den Bösewicht des Films mimt.

Ich glaube, Jared Hess liebt alle seine Figuren; nicht so, wie ein normaler Autor eine intensive, intellektuelle Beziehung zu den Protagonisten seiner Story hat, sondern eher auf eine romantisch-verklärende Art: Diese Liebe drückt sich darin aus, dass er jeder von ihnen detaillierte Aufmerksamkeit schenkt, sie mit echten Gefühlen und tollen Geschichten versieht und Schauspieler für sie sucht, die den perfekten Ausdruck für diese Liebe hervorzubringen im Stande sind.

Ich kann mich nur wiederholen: “Gentlemen Broncos” ist zauberhaft und man sollte ihn auf keinen Fall verpassen. Man kommt danach mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Kino und möchte auf dem nächstbesten ausgestopften Hirsch davon fliegen …