Nazialarm

19 Feb 2010 von Harald Mühlbeyer

Nein, den Roehler-Jud-Süß-Film habe ich noch nicht gesehen, das hole ich morgen abend in einer Publikumsvorstellung nach. Dafür habe ich heute abend Peter Kerns “Bluthochzeit” gesehen. Der Film läuft im Panorama, da kommt jedes Jahr ein Schwulen-Trash-Film, letztes Jahr wars irgendein Gangster-Mist von Ulli Lommel, diesmal eben Kern – Fassbinderconnection ist jedenfalls obligatorisch.

Helmut Berger spielt einen Wäschereibesitzer in Wien, schwul natürlich, nebenbei wird die Geschlechtsumwandlung von dessen Freund(in) erzählt, inklusive Schwulengemeinschaft in einer Bar. Dieser community ist eine Neonaziclique entgegengesetzt, oh, die sind so böse und verkloppen Ausländer und Obdachlose, und sie rekrutieren den jungen Axel. Statt ihn zu umgarnen, verkloppen sie ihn erstmal, so ist das bei echten arischen Männern, er macht trotzdem bei ihnen mit und ersticht einen Sozialarbeiter, aber eher versehentlich. Flieht, kommt zu Helmut Berger, der übrigens an einem alten Trauma leidet, damals, in der HJ, als er auch schon schwul war und ein Verräter wurde und Mörder und so.

OK. Kann man was draus machen. So einen billigen, schnell runtergerotzten Trash-Knaller. Und das macht Kern auch. Aber ach: das wichtigste vergisst er, den Witz. Und so ist es halt doch nur schlecht, sehr schlecht, nicht mal, dass man auf Metaebene lachen könnte. Nein: man lacht ganz direkt und straight den Film aus, wenn man noch lachen kann.

Wie dann in der letzten halben Filmstunde die behauptete Verfolgung von Schwulen im heutigen Wien durch eine fiktive Nazi-Partei mit realer, historischer Judenverfolgung und Holocaust im Dritten Reich verglichen wird: das ist schon gewagt. Man könnte darüber weinen, ja sogar einen Skandal entfachen (hoffentlich sieht das keiner vom Zentralrat der Juden!), aber nein: die Tränen sind da schon versiegt. Kollege G., der mit mir drin war, hat diesen Höhepunkt der politischen Agitation schlichtweg verschlafen (und er hat gut geschlafen, dreimal anstupsen hat nach dem Abspann nicht gereicht, ihn zu wecken); und er hat gut daran getan.

Harald Mühlbeyer