Schlangen mit und ohne Humor

19 Feb 2010 von Silvia Hallensleben

Habe es technisch nicht geschafft, die eigenen Fotos hier einzustellen. Und vorletzte Nacht versäumt, das Netbook rechtzeitig aufzuladen. Deshalb erst jetzt neue Nachrichten. Letzte Nacht Forumsempfang in der Volksbühne, wie immer trotz Erkältung und bester gesundheitlicher Vorsätze gerade in letzter Minute den Absprung von dort geschafft. Sind einfach zu viele zu selten zu sehende Freunde, alte und neue Bekannte. Immer wieder wurde ich auf den Blog hier angesprochen, bin erstaunt, wie viele Berlinale-Gänger das lesen, Ich dachte bisher, SChlangendie Sache wäre eher etwas, um den zwangsweise in Wuppertal und Tuttlingen zurückgebliebenen ein bißchen Ersatz-Berlinale-Gefühl zu vermitteln. Das scheint nicht ganz zu stimmen.

Gestern endlich wirklich im Delphi, habe die neue rekonstruierte Fassung von „Antonio das Mortes“ von Glauber Rocha gesehen, der trotz der symbolistischen Opern-Grandezza vieler Szenen die aktuellen semidoukmentarischen Ansätze vieler Forumsfilme großartig ergänzt. Am Ende läuft Antonio über die staubige Hauptstraße des Drehortes Milagres, im Hintergrund ist gerade ein Markt, ein paar Kinder gucken mal kurz herüber, Lastwagen dröhnen vorbei, Dokument einer fernen verlorengegangen Zeit. Beeindruckt hat mich diesmal vor allem der Ton, die trancigen Chorgesänge und das Sololied von der Ankunft Lampiaos in der Hölle. (Nebenbei haben diese Lieder noch alte französische Untertitel, die deutlich besser sind als die neuen englischen der Rekonstruktion, die durch Sinnfehler und Unvollständigkeit das Verständnis oft mehr behindern als unterstützen. Ein Phänomen übrigens bei einigen Filmen dieses Jahr.)

Leider waren im Kino wenige der jungen Filmemacher, denen man den Film gerne ans Herz legen würde. Zur Restauration erscheint auch eine DVD-Edition mit „Making of“, näheres auf der materialreichen Filmzeitung „Antonio das Mortes’s Times“

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Nochmal zum Delphi: Neben dem Arsenal endlich auch einmal ein Kino, wo Kinoleute das sagen haben und nicht Hilfssherrifs und Technokraten, die sich wichtig tun und stundenlang mit WalkieTalkie über Einlassmodalitäten beraten, als ginge es um einen Kriegseinsatz gegen das Publikum (mögliches Erweiterungsmodul für Philip Scheffners „Der Tag des Spatzen“, der kam hier zu ganz unrecht bisher nicht vor): Deshalb ist die Stimmung dort freudig gespannt statt gestresst, auch wenn der Andrang groß ist. Man darf zwischen den Filmen im Saal bleiben und sogar seine Butterbrotdose auspacken, statt (wie im Berlinale-Palast) von Uniformierten den Kaffee weggenommen zu bekommen.

Andere sehen das anders. Das Forum ist mir zuanstrengend und humorlos, sagte mir ein Kollege gestern in einer auch nicht gerade humorvollen Wettbewerbs-Warteschlange im Cinemax, die sich langsam in Richtung Taschenkontrolle vorschob. Als Forumsgänger gilt man als filmideologisch elitär verblendet. Vermutlich ist das eher eine psychische Schutzmaßnahme der entsprechenden Kollegen, denn die meisten sitzen ja nicht freiwillig die Stunden im Wettbewerb ab, sondern weil sie darüber berichterstatten müssen. Insofern darf ich mich durchaus als privilegiert begreifen. Und bekam wie zur Bestätigung als süßen Nachtisch gestern im Delphi mit „Au revoir Taipei“ auch noch eine kleine romantische Komödie geboten, die in puncto Charme und Inzenierungs-Witz locker die meisten anderen Berlinale-Filme übertreffen dürfte. Es geht um altersverliebte Mafiosi, tolpatschige Möchtegern-Gangster, schwere Frankophilie und ein kleines Päckchen, das die Turbulenzen in Gang bringt. Leider ist der Film durch, man kann also nur auf DVD oder Kinoauswertung hoffen.

Dritter Film gestern: „Pickpocket“ von Robert Bresson in der Retro, mein erster Retrofilm dieses Jahr. Kino pickepackevoll, scheinbar mit dem Nachwuchs, der bei Glauber Rocha fehlte, man kann also die nächste Generation der Berliner Schule erwarten. Bressons elegantes Understatement lädt zum Nacheifern ein, ist aber ein hochgestecktes Vorbild. Und faszinierdendes Gegenbild zu den hier so oft angesprochenen semidokumentarischen Tendenzen: Aufwendig ausgearbeiteten und durchchoreographierte Hintergründe und Straßenszenen, wo Hunderte penibel ausgewählter und ausgestatteter Statisten präzise gesteuert ihre Wege gehen.

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