Absolut Lommel

10 Feb 2009 von Stefan Höltgen

Berlin, Februar 1969 – Auf der Berlinale stellt der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder seinen Erstlingsspielfilm “Liebe ist kälter als der Tod” vor. Nach der Premierenvorstellung werden er und sein Hauptdarsteller Ulli Lommel ausgebuht. In der Pressekonferenz erklärt sich der Jungregisseur: Er habe einen etwas anderen Film als die gewöhnliche Kinounterhaltung machen wollen, mit längeren Einstellungen, anderen Dialogen usw. Der Titel sei schon eine These aber erklären müsse sich das jeder Zuschauer selbst.

Berlin, Februar 2009 – 40 Jahre später. Fassbinder hat mit seinem Film und den darauffolgenden eine deutsche Kinoära geprägt. Nach seinem Tod treibt es seine Mitarbeiter in die ästhetische Diaspora. Ulli Lommel geht nach Amerika und wird selbst Regisseur. 2009 hat er etwa genauso viele Filme gedreht wie sein Lehrmeister – jedoch ist kein einziger wirklich gut und etliche sogar ziemlich miserabel. Mit “Absolut Evil” reicht er einen Film bei der Berlinale ein, der sich selbst als Antithese zu “Liebe ist kälter als der Tod” versteht. Eine Geschichte um Rache und Liebe, kompliziert erzählt, schlecht gespielt und übel inszeniert.

Lommels Filme zu sehen war schon immer irgendwie wie einem Autounfall zuzusehen. Man möchte sich und alle Anwesenden aus der Gefahrenzone bringen, Hilfe rufen und das Gebiet weiträumig absperren. Anders als bei einem Autounfall ist das im Kino aber nur mit einigem Aufwand und Ärger möglich. Also muss man passiv bleiben, hinsehen und sich immer wieder fragen, wie ein Mensch, der unter dem künstlerischen Einfluss Fassbinders stand, so etwas auf die Beine stellen kann? Und in “Absolut Evil” besitzt er auch noch die Impertinenz sich explizit auf Fassbinder zu beziehen; schaltet vor seine direct-to-Video-Gurke historisches Dokumentar-Material, in dem die eingangs geschilderten Berlinale-Szenen zu sehen sind. Er selbst schämt sich nicht, dafür derjenige, der das mit ansehen muss.

Die Apotheose der Fremdscham erreicht man als Zuschauer aber, wenn vor dem Film auch noch angekündigt wird, dass einige der Mitwirkenden anwesend sind und hinterher zum Gespräch zur Verfügung stehen – und man den Saal dann trotzdem nicht nach Filmende verlässt. Da trudeln also zwei der amerikanischen Darsteller auf die Bühne und der Mann, der in Deutschland für die Postproduktion zuständig war. Wie sie alle zu dem Film gekommen sind, wissen sie nicht mehr – sie insinnuieren sogar, dass es wohl daran lag, dass sie sich (Autounfall!) nicht schnell genug in Sicherheit gebracht haben, als das Casting war. Dann eine Frage aus dem immer noch sprachlos entsetzten Publikum: Eine Dame fand den Film ganz wunderbar, hat aber nur die Hälfte verstanden (!) und findet es empörend, dass ein deutscher Film (?) nicht wenigstens deutsche Untertitel bekommt. Der Postproduzent pflichtet ihr bei: Auch er habe bislang nur ein Drittel des Films verstanden, obwohl er ihn schon drei mal gesehen hat und würde sich auch über Untertitel freuen.

An dieser Stelle versagt meine Bruchrechnung und Leidensfähigkeit. Ich gehe schnell raus aus dem Kino und denke mir, dass das genau die richtige Strafe für mich war, weil ich nicht gestern schon dafür gesorgt habe, mir Karten für andere Filme zu reservieren. Heute war dann nur noch “Absolut Evil” für mich übrig. Und vierzig Jahre Berlinale ziehen wie ein Pesthauch an meiner imaginären Kritikernase vorbei … Warum werden Filme heute eigentlich nicht mehr ausgebuht?