The Spirit of Places (L’Esprit des lieux, Kanada 2006, Catherine Martin) (Forum)

18 Feb 2007 von Stefan Höltgen

Vor zwei Jahren nahm James Benning ein 27 Jahre altes Experimentalfilmprojekt (wortwörtlich) noch einmal auf: Er besuchte Orte, die er bereits 1977 in seinem FIlm “One Way Boogy Woogy” gefilmt hatte, abermals und versuchte einstellungsgleich und unter Verwendung der Tonspur von damals einen Bildvergleich anzustellen. Der zweite Film, direkt an den ersten geschnitten, wurde damit zum Erinnerungsexperiment am Déjà-vus. Die Kanadierin Catherine Martin hat in “The Spirit of Places” ein ganz ähnliches Projekt verfolgt: Sie (be)suchte Orte, die der Fotograf Gabor Szilasi 1970 am St.-Lorenz-Strom aufgenommen hatte.

Das angekündigte Projekt Martins ist es, zu schauen, was von den Orten von damals heute noch übrig geblieben ist, wie sehr die Modernisierung Flächen, Häuser und Menschen verändert oder verschwinden lassen hat. Sie sucht dabei nach den Einstellungen von damals, findet sie teilweise kadergenau und fängt sie auf 35- und 16-mm-Film ein. Dabei wird das Schwarzweiß von damals zu Farbe, die Unbewegheit der Fotografie zur Unbewegtheit der starren Kameraeinstellung. Zeitweilig wirken ihre Funde und die Versuche, sie deckungsgleich an die Bilder von damals zu montieren, witzig und pointiert, teilweise entsteht aber auch Humor allein aus den Kommentaren der Menschen von damals bei deren Konfrontation mit den alten Motiven.

Die Fotos, mit denen Martin herumreist, sind Erinnerungsbilder, die die darauf abgebildeten, sofern sie noch leben, zu einem Barthes’schen studium verleitet. Ihre Lebensräume sind darauf eingefangen und damit Teile ihrer Lebensgeschichet, die sie vor Martins Kamera nun abermals mit Inhalt und Zusammenhang füllen. So, wie die Beteiligten der Fotografierten Orte einen Zusammenhang zwischen Damals und Heute allein durch Erzählung stiften, versucht dies der Film selbst, indem er einerseits durch die bereits erwähnten Ähnlichkeitskonstruktionen, andererseits durch Verfahren auf der Tonebene Verbindungen knüpft. So werden Szilasis Fotografien von Martin bereits in den filmischen Diskurs hineingeholt, indem sie sie via Soundbridges (zumeist Naturgeräusche) an die Bilder ihrer Filmkamera anschließt.

“The Spirit of Places” ist auf der Oberfläche einem sozialen Projekt verpflichtet. Der Film berichtet von der Erosion einer kulturellen Landschaft, von der zunehmenden Stadtflucht der jungen Leute, von Säkularisierung einer einstmals streng katholoischen Region und von der Rückkehr der Natur in einstmals kultivierte Bereiche. Die andere Ebene des Films zeigt, wie sehr Erinnerung an das Bildhafte gekoppelt ist, wie sehr der Wunsch besteht, das Vergangene durch Ähnlichkeitsbeziehungen heraufzubeschwören, um die Hoffnung zu stiften, dass doch immer auch etwas vom Ort bleibt, das ihn schon immer ausgezeichnet hat – und wenn es nur eine Geschichte ist, die sich an ihm zugetragen hat. Was James Benning sozusagen auf einer ontologisch-epistemologischen Ebene bearbeitet hat, vollzieht Martin auf der psycho-sozialen nach. Bei beiden ist es jedoch die Faszination der Raum-Zeit-Kategorie, die aus dem Denken nicht wegzudenken ist.

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