Blindsight (UK 2006, Lucy Walker) (Panorama)

18 Feb 2007 von Stefan Höltgen

Besonders beim Dokumentarfilm ist die “Qualitätsfrage” oft nicht leicht zu entscheiden, weil zu den formalen Aspekten des Films ja stets auch die (authentischen) inhaltlichen kommen. Es gibt Werke, bei denen ist der dokumentierte Gegenstand so “grell”, dass dieser allein vermag aus dem Dokumentarfilm einen “guten”, zumindest aber einen “populären” Film zu machen. Eine Kunst scheint es jedoch vielmehr zu sein, den Gegenstand der Dokumentation eben nicht soweit Oberhand gewinnen zu lassen, dass die Ästhetiken dabei zu kurz kommt. Meisterwerke des Genres, wie Herzogs “Mein liebster Feind” oder Errol Morris’ “The thin blue Line” zeigen, dass man beides durchaus gewinnbringend ins Gleichgewicht bringen kann.

Der diesjährige Gewinner des Publikumspreises in der Panorama-Sektion der Berlinale, Lucy Walkers “Blindsight”, besitzt dieses Gleichgewicht nicht. Sein Gegenstand, eine Himalaya-Expedition blinder tibetanischer Kinder, überstrahlt den Film als solchen so sehr, dass man angesichts des humanistischen Projekts, das hier dokumentiert wird, gar nicht mehr auf die Ästhetiken zu achten braucht – sowohl auf Zuschauer- als auch auf Produzentenseite. Denn “Blindsight” hat wirklich nichts, was ihn als besonderen Film auszeichnen würde, aber eben alles, was aus ihm eine besondere Geschichte macht.

Und so scheint auch das Publikum entschieden zu haben – nämlich mehr nach den Erzähl- als nach den Schauwerten. Unter letzeren hätte “Blindsight” gegenüber so manchem anderen Beitrag im “Panorama” schlecht dagestanden. Stur filmt die Kamera, was sich zuträgt, gibt sich den Nimbus des objektiven Berichtens menschlicher Höhen und Tragödien, zeigt ab und zu ein paar Berg-Panoramen, wie, um Schönheit in den Film zu hineinzutragen, die dieser nicht aus sich selbst hervorzubrigen vermag. “Blindsight” ist die Dokumentation eines großartigen humanistischen Projektes; ein guter Film ist er hingegen nicht – allenfalls Betroffenheitskitsch.