Vor dem CinemaxX 3 herrscht großes Gedränge. “Los Invisibles”, ein Dokumentarfilm, zu dem auch Wim Wenders eine Episode beigesteuert hat, wird gezeigt und irgend etwas stimmt wohl mit der Projektionstechnik nicht, so dass die Vorführung nicht pünktlich beginnt. Dann jedoch ist alles geregelt und etwa 150 Interessierte drängen in den Saal. Entgegen meiner Sitzgewohnheit nehme ich relativ weit hinten Platz und das ist auch der Grund dafür, dass ich diesen Eintrag in so privatem Tenor beginne.
“Los Invisibles” verfolgt ein Programm: In seinen fünf Episoden weist er auf von den hiesigen Medien unbeachtete Menschenrechtsverletzungen, Krisen und medizinische Probleme in der Welt hin: Eine “Armenseuche” in Bolivien, systematische Frauenvergewaltigungen im Bürgerkrieg im Kongo, Kindersoldaten in Uganda, der Zynismus der Pharmakonzerne angesichts der Schlafkrankheit in der Zentralafrikanischen Republik und die Landvertreibungen durch Militärs, Paramilitärs und Guerillas in Bolivien. “Los Invisibles” dokumentiert aber nicht nur diese “unsichtbaren” Probleme, der Film berichtet auch von Menschen, die sich aus eigener Kraft dagegen stellen.
Die fünf Episoden verfahren dabei ganz unterschiedlich: Mal sind Bilder einer lateinamerikanischen Großstadt, in der eine verzweifelte Frau umhergeht, zu sehen, während auf der Tonspur ein Brief verlesen wird. Mal sieht man Frauen – jene Vergewaltigungsopfer – die halb durchsichtig durch ihre Dörfer wandeln, mal wird ein schwarzweiß gefilmtes, fiktives Gespräch zwischen einem Pharmakonzern-Vertreter und einer NGO mit Farb-Bildern kranker und sterbender Menschen kontrastiert. Die Inszenierungstechniken unterstehen jedoch stets dem Sujet der jeweiligen Episode. Und sie leisten, was ein nüchtern inszenierter Dokumentarfilm vielleicht kaum vermöchte: Sie reizen zu Wut, machen ohnmächtig und vor allem traurig.
Sie reizen aber auch zum Verlassen des Kinos. Spätestens bei der zweiten Episode, in der erschütternde Opferberichte von Vergewaltigungen im Mai-Mai-Krieg im Kongo von den vergewaltigten Frauen vorgetragen werden, beginnt der große Exodus aus dem Kinosaal, der bis zur letzten Episode anhält und schließlich etwa zwei Drittel der Besucher erfasst hat. Sicherlich könnte man gedacht haben, “das Entscheidende” mit dieser zweiten (von Wim Wenders gedrehten) Episode gesehen zu haben. Sicherlich könnte man vorgehabt haben, noch einen guten Platz in der anschließenden Pressekonferenz mit dem Regisseursteam bekommen zu wollen (vielleicht weil die Künstler wichtiger als ihr Thema sind). Und vielleicht konnten die Weggehenden (zumeist männliche Kollegen) es auch einfach nicht mehr ertragen haben, zu sehen, was anderswo Männer Frauen antun.
Im Effekt verstärkt diese Flucht vor den “Unsichtbaren” doch aber nur das Problem: Dass die Filmpresse den Film auf diese Weise “boykottiert”, unterstreicht nur einmal mehr, wie unsichtbar das in ihm verhandelte Thema tatsächlich ist – und wohl auch bleiben wird.