Von einem der auszog (D 2007, Marcel Wehn) (Perspektive deutsches Kino)

15 Feb 2007 von Stefan Höltgen

Am Ende ist Wim Wenders ins/nach “Himmelreich” gelangt – einen kleinen Ort in der Nähe Hannovers, von dem er sich – dem Ortsnamen nach – etwas erhofft hat. Das mag sich auch der Zuschauer des Dokumentarfilms über Wim Wenders erhofft haben; allein, das Himmelreich erreicht auch er nicht. Dem Dokumentarfilm fehlt das Wesentliche (und damit ist nicht das Komma im Titel gemeint).

“Von einem der auszog” ist vor allem der Versuch, über die Frage eines “zentralen Motivs” im Frühwerk Wim Wenders’ diesen als Autorinstanz zu behaupten, die eine bestimmte Agenda (diese ist fast schon kantianisch: “Wie soll man leben?”) verfolgt und die eine Filmo-Biografie entwickelt hat, aus der sich Leben wie Werk erklären und herleiten lässt. Der Weg, der zu diesem Ergebnis führt ist holprig: Wenders wird in einer Art Fotografie-Ausstellung interviewt, in der ihn Foto um Foto zu Personen und Stationen seiner Vergangenheit führt. Er wird um persönliche Statements und die Wiedergabe von Anekdoten gebeten. Dann folgen Interviews mit den Personen, die in den von ihm geschilderten Situationen anwesend waren. Und so weiter …

Am meisten interessiert sich “Von einem der auszog” jedoch für das Privat- und besonders das Liebesleben Wenders’, von dem die Filmemacher gemäß ihrer zentralen biografistischen Methode erwarten, dass es die persönlichsten Einblicke in Person und Werk zulasse. Durch geschickte Montagen von Interviewaussagen wird solch ein Sinn dann auch tatsächlich entworfen – und selbst die eigenartigen, fast kindlich-naiven Statements von Wenders’ derzeitiger Frau vermögen dem Projekt, dass Wenders zum Schluss als Goethe’schen “Lebenskünstler” inszeniert, nicht zu schaden.

Die hauptsächliche Frage, die sich mir als großem Freund des Neuen Deutschen Films stellt, ist, warum hier mit aller Macht ein Autorenname als Deutungsinstanz restituiert werden muss, der (spätestens seit Godard und Kluge) so doch gar nicht mehr funktionieren kann? Je mehr das Persönliche in den Film-Vordergrund rückt, die Aussagen der Lebenswegbegleiter privater und damit die Schweigepausen Wenders’ länger werden und je mehr dabei das politische, künstlerische und filmhistorische Augenmerk in den Hintergrund rückt, desto mehr offenbart der Dokumentarfilm sein eigenes, höchst uninteressantes Projekt.

Schließt man sich diesem Projekt nicht an, bleibt “Von einem der auszog” lediglich eine Sammlung von Anekdoten, bedeutungsschwanger aneinander montiert, eine Filmografie, biografisch verklärt und eine unverständliche Konzentration auf die “frühen Filme” (also alle bis zu Wenders’ siebenjährigem USA-Aufenthalt), die zu wenig über die spezielle filmhistorische Phase und deren Charakteristik desinnerhalb Neuen Deutschen Films sagt und zu viel über den Menschen Wim Wenders. Am Ende weiß man Dinge von diesem, die man lieber nicht gewusst hätte.

Das alles könnte Wenders beim Dreh geahnt haben, als er vor dem Ortschild “Himmelreich” stand, etwas unwohl fühlend in die Kamera blickte und sich beim Filmteam über die korrekte Tiefenschärfe erkundigte – er schaute da, als wisse er bereits, dass man das Ortschild später sinnschwer mit seiner Person in Verbindung zu bringen plant und sagt: “Hier gibt es absolut nichts zu sehen.”

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